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2. Rang von Felix Pflanzl bei der Tortour Ultra

Aktualisiert: 15. Dez. 2022

Sihlcity Zürich, kurz nach 21 Uhr - es hat bereits eingedunkelt und es regnet leicht. Ich rolle als 3. Starter der Herren von der Startrampe und begebe mich auf den Weg Richtung Bahnhof Brunau. Meine Gefühle sind durchwachsen: Die Nervosität ist weg und ich bin froh dass es endlich los geht - auf der anderen Seite ärgert es mich, dass es regnet. Ich versuche mein Tempo zu finden, nicht zu schnell aber doch zügig. Im Sihltal habe ich mein Tempo schnell gefunden und mit dem Regen habe ich mich vorerst auch abgefunden. Nach und nach werde ich von einigen anderen Fahrern überholt - einer davon sehr zügig im Wiegetritt. Ich lasse mich nicht verunsichern und denke "Mach du nur, spätestens am San Bernardino sehen wir uns wieder..." ;-).

Die erste Nacht durch die Ostschweiz verläuft gut und ich bin zwischenzeitlich meiner geplanten Marschtabelle 40 Minuten voraus. Ich freue mich auf die ersten richtigen Höhenmeter und den anstehenden San Bernardino Pass. Der ersehnte schöne Sonnenaufgang bleibt leider aus.

Statt dessen gibt es weiter Regen und Nebel. Wie erwartet, bekomme ich nach der Dämmerung ein erstes kleines Müdigkeitstief, welches sich mit dem ersten Koffein-Booster gut bewältigen lässt. Im Anstieg auf den San Bernardino treffe ich wieder auf einige meiner Mitstreiter und ziehe an ihnen vorbei. Der Ernährungsplan funktioniert gut: 50% flüssig und 50% fest. Wobei der Grossteil der festen Nahrung aus sauren Haribo Apfelringen besteht. :-P


Nach der Abfahrt ins Tessin kommt der lange Anstieg auf den Gotthard.

Das Stück von Bellinzona nach Airolo zieht sich sehr lange hin. Da ich die Strecke aus früheren Fahrten kenne, habe mich darauf eingestellt.

Zwischenzeitlich hat es aufgehört zu regnen und ich spule die Kilometer Stück für Stück ab. In Faido wechsle ich vom Aerobike aufs Bergvelo, was auch wieder etwas Abwechslung bringt. Auf dem Teilstück im Tessin kreuze ich mich einige Male mit Fabienne. Ich habe jeweils kurz die Gelegenheit ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Die kurzen Gespräche mit ihr lassen die Zeit schneller vergehen und motivieren mich. Die Fahrt über die Tremola wird zur besonderen Freude, da mich meine Begleitcrew kräftig anfeuert! :-) Kurz vor der Gotthard Passhöhe fängt es leider wieder an zu regnen und es kühlt ganz schön ab. Die Abfahrt nach Andermatt wird kühl und feucht. Spontan entscheide ich mich dazu an der Timestation in Andermatt das Outfit zu wechseln. Weiter geht es nach Wassen in den Anstieg zum Susten. Zu Beginn noch gut gelaunt nimmt der Regen immer mehr zu und die Temperatur ab. Der Anstieg klappt gut, aber die Abfahrt wird zur Herausforderung. Im strömenden Regen bei 7 Grad kühle ich immer mehr ab und fange an zu zittern. Ich muss Tempo herausnehmen, um kein Risiko einzugehen und hoffe Innertkirchen bald zu erreichen. Nach einer gefühlt ewigen Abfahrt komme ich unterkühlt in Innertkirchen an. Im Vorraum der öffentlichen Toilette päppelt mich meine Crew mit warmen Decken, heissem Tee und trockener Kleidung wieder auf. Nach einer knappen halben Stunde sitze ich wieder auf dem Velo und es geht weiter.

Der kurze Anstieg vor Meiringen hilft mir weiter auf Temperatur zu kommen und nach einer Weile habe ich wieder einen Rhythmus gefunden. Mit den Worten meiner Crew "in der Nacht wird es trocken" versuche ich mich zu motivieren und setze die feuchte Fahrt Richtung Brienzersee und Thunersee fort.


Die 2. Nacht steht nun an und im Dunkeln geht es weiter Richtung Jaunpass. Es hat sich wieder eingeregnet und ich bin ganz gut im Fluss.

Um den Fluss nicht zu unterbrechen, entscheide ich mich für die Überquerung des Jaunpasses - anders als geplant - auf dem Aerobike zu bleiben. Es hat zwar einige etwas steilere Stellen, aber die Entscheidung stellt sich als richtig heraus und ich komme gut über den Pass. Aufgrund der zwischenzeitlich trägen Verdauung verbrauche an den nächsten zwei Timestations in Jaun und Cully viel Zeit im Toi Toi. Die weitere Fahrt in der Nacht wird zäh und ich habe das Gefühl ich komme gar nicht mehr aus dem Welschland heraus. Als ich merke, dass die Müdigkeit immer stärker wird und ich gerade darüber nachdenke, ob ich mir nun einen Koffein-Booster gönnen oder besser noch aufbewahren soll, höre ich eine Stimme von hinten: "Hey Felix!". Es ist Andreas, welcher als Führender der Challenge Strecke zu mir aufschliesst und mich überholt. Im Vorbeifahren wechseln wir ein paar Worte und ich bin auf der Stelle wieder hellwach und motiviert. Den Booster brauche ich vorerst noch nicht und ich kann das Tempo wieder etwas anziehen. Im Morgengrauen, nach der Kehre in Nyon, wieder Richtung Nord-Osten unterwegs, sehe ich plötzlich viele kleine Zwerge mit roten Zipfelmützen am Strassenrand stehen. Als ich den Zwergen näher komme, verschwinden die Zipfelmützen und ich sehe, dass darunter lediglich Grasbüschel sind, welche von der angrenzenden Wiese in die Strasse hineingewachsen sind.

Ich bin zum Glück noch klar im Kopf und merke gleich, dass mir mein Gehirn einen Streich spielt. Ich nehme meinen zweiten Koffein-Booster und reisse mich zusammen, um fokussiert zu bleiben. Es funktioniert und ich bringe den Rest des Welschlandes hinter mich.

An der Timestation in Jens angekommen realisiere ich, dass die Zielgerade immer näher kommt und es gar nicht mehr so weit bis zum Aargau und meinem Trainingsgebiet ist. Der Regen pausiert tatsächlich für ein Weilchen und ich mache mich nach einem Gruppenfoto mit meiner Crew zügig wieder auf den Weg. Abgesehen von einem Starkregenschauer, zeigt sich das Wetter tatsächlich für ein paar Stunden von seiner schönen Seite. Ich merke allerdings wie mir die Müdigkeit wieder zu schaffen macht. Meine Crew hält mich mit regelmässigem Ansprechen in kurzen Abständen, lustigen Fragen und sauren Haribo Apfelringen wach und bei Laune. Als ich nach Aarau in meiner Trainingsregion ankomme, mobilisieren sich weitere Kräfte und ich geniesse die Fahrt durch das bekannte Terrain. Allerdings habe ich das Gefühl je näher das Ziel kommt, desto langsamer vergeht die Zeit. Ich sehe einige bekannte Gesichter am Strassenrand, die mich anfeuern, was die Zeit doch wieder etwas schneller vergehen lässt. Die letzten zwei Anstiege kurz vor Zürich sind nochmals eine willkommene Abwechslung und ich geniesse diese letzten Höhenmeter. Bei einem letzten Regenschauer rolle ich glücklich zum Sihlcity. Dort erwartet mich eine grosse Fan-Schar aus Familie und Freunden und erst als ich auf der Bühne stehe, realisiere ich langsam was ich gemeinsam mit meiner Crew in den letzten knapp 44 Stunden erreicht habe.



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